Kai Kröger Verlag

Jonathan Shore
Kinder in der homöopathischen Praxis

Kurzbeschreibung

Anhand zahlreicher Fälle, teilweise durch Abbildungen als Videostandaufnahmen illustriert, stellt Dr. Shore jene Mittel vor, die er in seiner Praxis am häufigsten konstitutionell bei Kindern verordnet. Zu diesen gehören auch einige für den Einsatz bei Kindern weniger bekannte Arzneien - wie z.B. Sanicula oder Carcinosinum. Wir erhalten wertvolle praktische Hinweise u.a. bei der Behandlung von Ohrentzündungen oder Krupp. Insgesamt werden ca. 20 Mittel in großer Ausführlichkeit lebendig und spannend präsentiert und dabei annähernd weitere 80 Arzneien differentialdiagnostisch diskutiert. Dr. Shore genießt als einer der großen Erfahrenen der Homöopathie internationalen Ruf.

 
Der Autor

Dr.Jonathan Shore, Jahrgang 1945, studierte in seiner Geburtsstadt Kapstadt Humanmedizin, wo er 1968 sein Examen absolvierte. Er arbeitete als Chirurg am Grothe-Schuur-Krankenhaus in Kapstadt und in Kliniken in England und den USA. Er sammelte in verschiedenen Krankenhäusern Erfahrunen als Jugendpsychiater und Amtspsychiater. Auf ausgedehnten Studienreisen im Mittleren und Fernen Osten erlernt er vielfältige Therapiemethoden wie Akkupunktur, Schiatu oder Tai-Chi Chuan; aber auch Gestalttherapie und Jungsche Analyse zählen zu seinem Repertoire. Seit 1975 arbeitet er in seiner Praxis ausschließlich mit der klassischen Homöopathie. Er ist Mitbegründer der Hahnemann Medical Clinik in Berkeley, Kalifornien und unterrichtet Homöopathie am Hahnemann Medical Cpollege. Er ist überdies Vorstandsmitglied einer Reihe von homöopathischen Organisationen in den USA.


Das Buch

Im Jahr 1990 gewährte Jonathan Shore Einblick in seine große Erfahrung mit der Behandlung von Kindern auf einem Seminar in Holland. Die Mittel, welche in Dr.Shores Praxis Kindern am häufigsten konstitutionell verordnet werden, sind neben Polychresten wie Calcarea carbonica, Sulfur, Natrium muriaticum, Mercurius, Pulsatilla, Silicea, Tuberculinum auch sehr oft "kleine" Arzneien - etwa Sanicula, Carcinosinim, Kalium sulfuricum, Veratrum viride, Coffea oder Antimonium crudum. Insgesamt werden anhand von über 40 Videofällen und Papercases ausführlich die unterschiedlichen Aspekte von 20 speziell bei der Behandlung von Kindern indizierten Arzneien lebendig und spannend vorgestellt und dabei differentialdiagnostisch annähernd 100 weitere Mittel diskutiert.

21 Zeichnungen von Patienten, die nach dem Videostandbild der Fälle angefertigt wurden, vertiefen den Eindruck des Mittel - bzw. Patientenbildes. Die Sprache ist geglättet und von der Mittelfindung nicht dienlichen Textpassagen befreit, sodaß die Kerninformation erhalten bleibt und rasch nachschlagbar ist, ohne daß jedoch die lebendige Atmosphäre des Seminars verloren geht. Ein Buch, das man - totz seines ursprünglichen Charakters als Seminar- und Videotranscript- gerne wiederholt lesen wird und als Ratgeber in der Praxis in Griffweite haben möchte


Leseprobe

SANICULA AQUA

Ein Mittel, das nicht sehr bekannt ist und auch nicht allzu oft in der Praxis Anwendung findet. Dennoch handelt es sich um eine sehr interessante Arznei. Sie wird aus dem Wasser zubereitet, das einer Mineralwasserquelle in Ottawaentstammt. Dieses Wasser enthält verschiedene Mineralien, und so begegnet uns im Arzneimittelbild von Sanicula aquaauch eine Mischung aus verschiedenen Arzneimittelbildern. Gott erschafft eben seine eigenen Komplexmittel auf seine Weise!
Die Hauptkomponenten von Sanicula sind, in der Reihenfolge gemäß dem quantitativen Anteil, wie sie uns Clarkenennt:
Natrium muriaticum; Calcarea muriatica; Magnesia muriatica; Calcarea bicarbonica; Calcarea sulfurica; Kalium sulfuricum; Natrium bicarbonicum; Natrium bromatum; Ferrum bicarbonicum; Natrium jodatum; Silicea; Alumina; zusätzlich Spuren von Lithium bicarbonicum, Natrium phosphoricum und Borax


Borland, ein erfahrener homöopathischer Kinderarzt, hat eine ganze Menge über Sanicula geschrieben. Er erwähnt die starke Ähnlichkeit mit Silicea. Ja, er sagt tatsächlich sogar, daß man in vielen Fällen, wo man Siliceagegeben hat, eigentlich Saniculahätte geben sollen! Wenn Sie also Silicea verordneten, das Mittel hat aber keine Wirkung, und dennoch erscheint Ihnen nach wie vor der Fall ein Silicea-Fall zu sein, so sollten Sie Sanicula aqua in Erwägung ziehen.
Auch Clarkes Dictionary of Practical Materia Medica enthält eine Menge wertvoller Informationen über das Mittel. Phataks kleine Arzneimittellehre ist ebenfalls sehr gut, und auch er gibt uns eine Beschreibung von Sanicula. In den Kent'schen Vorlesungen über die homöopathischen Arzneimittelbilder steht nichts über Sanicula, während Boerickes Homöopathische Mittel und ihre Wirkungen nur sehr wenig über die Arznei berichtet.


Phatak stellt folgende Charakteristika von Sanicula in den Vordergrund: Die Sanicula-Kinder sind
- empfindlich
- reizbar
- dickköpfig und widerspenstig
- leicht aufgebracht.
Schon das geringste Wort oder die kleinste Kleinigkeit, die ihnen widerstrebt, kann sie völlig aus der Fassung bringen und sie in Aufregung versetzen. Diese Kinder legen jede Handlung falsch aus und mißdeuten alles, was man sagt.
- Verdrießlichkeitwechselt sich rasch mit Neigung zum Scherzen und Ausgelassenheit ab. Wir haben es hier mit dem Element des raschen Stimmungswechsels zu tun.
- Angst im Dunkeln
- das ständige Bedürfnis, sich umzuschauen - aus Furcht, es könnte jemand hinter ihm sein
- Ruhelosigkeitmit dem Bedürfnis, von einem Ort zum anderen zu gehen.
Eine diesem Gedanken verwandte Rubrik in Kents Repertorium finden wir im Kapitel Gemüt: Will reisen (KK I 77/Englischer Kent Seite 89) Neben Saniculaim ersten Grad finden sich hier noch Anantherum, Aurum, Calcarea phosphoricaCimicifuga Curare Elaps, Hippomanes, JodumLachesisMercurius solubilis und Tuberculinum.
- Mangelhafte Zielgerichtetheit. Sie beginnen eine Sache und führen sie nicht zu Ende. Dann fangen sie etwas Neues an, vollenden es aber auch nicht. Sie wissen nicht so recht, was sie eigentlich wollen.
- Will nicht berührt oder angefaßt werden
- Angst bei Abwärtsbewegung - wie auch Borax
Wenn Sie Saniculaals Mittel nicht kennen und es daher auch nicht in Erwägung ziehen, werden Sie es kaum jemals in Ihrer Praxis zu Gesicht bekommen. Schauen Sie ins Repertorium, und Sie werden feststellen, daß diese Arznei gar nicht so selten auftaucht, wie Sie vielleicht vermutet haben.
Ich habe mir einige Rubriken aus Kents Repertorium ausgewählt und eine Eliminierung vorgenommen. Sie wissen, wie es geht: Verbinden Sie zwei Rubriken miteinander, vergleichen Sie sie und stellen Sie fest, welche Mittel beide Rubriken gemeinsam haben. Die anderen Arzneien eliminieren Sie. Nehmen Sie die übriggebliebenen Mittel und vergleichen Sie sie mit den Mitteln einer dritten Rubrik.
Borax und Sanicula blieben bei meiner Eliminationsübung übrig. Hier nun die Rubriken, in denen Sanicula nach der Elimination "überlebte":


Gemüt: möchte getragen werden (KK I 58 / engl. Kent 10). Dies ist eine brauchbare Rubrik bei der Behandlung von Kindern.
Gemüt: Reizbarkeit bei Kindern (KK I 80 / engl. Kent 58)
Gemüt: Furcht vor Abwärtsbewegung (KK I 41 / engl. Kent 44)


Wie bemerken und beurteilen wir bei einem Kind diese Angst bei Abwärtsbewegung? Das Kind ist, sagen wir, neun Monate alt. Die Erwachsenen spielen mit Kindern in diesem Alter ja allgemein gerne, indem sie sie in die Luft werfen und wieder auffangen. In der Sprechstunde bitten wir die Mutter oder den Vater also, ihr Kind in die Luft zu werfen, und wir beobachten das Kind dabei. Wenn wir es ganz sicher wissen wollen, werfen wir das Kind selbst hoch. Fällt das Kind mit angstverzerrtem Gesicht in unsere Arme, wissen wir, daß es sich möglicherweise um Saniculaals dem in Frage kommenden Heilmittel handeln könnte. Dann fragen wir die Eltern: "Werfen Sie Ihr Kind auch so in die Luft, wenn Sie mit ihm spielen?" Und zur Antwort erhalten wir: "Oh, niemals! Das Kind fängt furchtbar an zu schreien, wenn ich das mache!"

Zur Differentialdiagnose:


- Auch Boraxmag die Abwärtsbewegung nicht und bekommt Angst.
- Das Calcarea phosphoricaKind hingegen mag die Aufwärtsbewegung nicht, mag also nicht auf den Arm genommen werden.


Gemüt: Möchte getragen werden (KK I 58 / engl. Kent 10)
Gemüt: Will nicht angefaßt werden (KK I 2 / engl. Kent 89)


An diese Rubriken sollten Sie sich erinnern, sie finden recht häufig Verwendung.
Die Sanicula-Kinder sind sehr reizbar, wenn sie krank sind. Sie schreien die ganze Zeit gellend, und man muß sie umhertragen. Aber wenn Sie versuchen, das Kind zu untersuchen und zu berühren, regt es sich sehr auf.
In diesem Zusammenhang möchte ich - neben Sanicula - noch einige andere Arzneien erwähnen, die ich bei Kindern, die nicht angefasst werden wollen, sehr hilfreich fand. Dies sind Antimonium tartaricum, Arsenicum albumChamomilla, Cinaund Kalium carbonicum
Sanicula sollte in der Rubrik Launenhaftigkeit (KK I 69 / engl. Kent S.10) nachgetragen werden. Bei den Sanicula-Kindern bedeutet Launenhaftigkeit, daß sie einen bestimmen Gegenstand haben möchten; sobald man ihnen diesen Gegenstand jedoch gibt, weisen sie ihn sogleich zurück.
Wenn ein Kind krank ist, hat es Schwierigkeiten, seinen Mangel an Wohlbefinden zu formulieren. Es kann uns nicht mitteilen, wo die Schmerzen sitzen und welcher Art sie sind. Kinder haben ja auch nicht gelernt, sich zu beherrschen. Sie sind emotional noch nicht "gepanzert", und daher bringen sie ihre Gefühle freier zum Ausdruck als wir Erwachsene. Wenn Sie schon einmal Kinder in der Praxis hatten, die Sanicula oder ein verwandtes Mittel benötigten, werden Sie dieses Erlebnis nie mehr vergessen! Während das Kind schreit, sind Sie bemüht, sich auf das Repertorium zu konzentrieren. Die Mutter gerät zusätzlich ins Schreien, vor allem dann, wenn sie ihre anderen Kinder ebenfalls noch mitgebracht hat, die vielleicht auch noch ein bißchen hyperaktiv sind. Glauben Sie mir, in einer solchen Situation rauft man sich buchstäblich die Haare!
Betrachten wir all diese Mittel - Antimonium tartaricum, Arsenicum album, Cina, Chamomilla, Sanicula - so fällt uns auf, daß die Kinder, die diese Arzneien zur Heilung benötigen, alle getragen werden wollen und sehr reizbar sind.
Sie schwitzen am Kopf. Dies ist ein Symptom, das uns bei Kindern recht häufig begegnet. Vergessen Sie nicht, nach dem Kopfschweiß zu fragen! Denn manchmal vergißt die Mutter, darüber von sich aus zu berichten.
Schauen wir uns nun die Rubrik Kopfschweiß während Schlaf KK I 201 / engl. Kent S.222) an.
Fügen wir diese Rubrik im bisherigen Eliminationsverfahren unseren anderen Rubriken hinzu, so bleiben nur zwei Mittel übrig:
Die Symptomkombination Möchte getragen werdenplus Will nicht angefaßt werdenplus Kopfschweiß während Schlafhaben nur Chamomillaund Sanicula gemeinsam.
Saniculaund Chamomilla haben weiterhin beide:
- Durchfall mit grünem Schleim
- Veränderliche Stühle
- ekelhaft stinkende Stühle
- brennende Hitze der Fußsohlen, die sie zwingt, die Füße nachts im Bett zu entblößen
- Verschlimmerung um 9.00h
Hier ergänzt Clarke als charakteristische Zeitmodalität für Sanicula 21.00h
Fehler! Es wurden keine Einträge für das Inhaltsverzeichnis gefunden.
Chamomilla kann ebenfalls eine Verschlimmerung sowohl um 9.00h als auch um 21.00h haben.
Bryoniahat eine Verschlimmerung seiner Beschwerden gegen 21.00h und ist für diese Zeitmodalität das Hauptmittel.
Clarkezitiert in seinem Dictionary of Practical Materia Medica den englischen Homöopathen Guernseyder sagt: "Sanicula ist das chronische Mittel zu Chamomilla." Sie sehen also auch hier die Beziehung zwischen Sanicula und Chamomilla klar bestätigt.
Es ist sehr schwierig, zwischen beiden zu unterscheiden. Chamomilla ist viel gebräuchlicher als Sanicula. Sie sehen dieses Kind, das reizbar, verdrießlich, unruhig ist, am Kopf schwitzt und an grünlichem Durchfall leidet, und Sie denken: "Klarer Fall, das Kind braucht Chamomilla!" Sie geben das Mittel, aber es wirkt nicht. Spätestens dann müssen Sie unbedingt Sanicula in Erwägung ziehen.


Auch Calcarea phosphoricahat mit Sanicula einige Symptome gemeinsam:
- Ruhelosigkeit
- Reizbarkeit
- Unzufriedenheit
- Verlangen nach Speck
- Kopfschweiß im Schlaf
- Möchte immer woanders sein
- Langsames Sprechenlernen (KK I 77 / engl. Kent S.86)
- Langsames Gehenlernen (KK II 478 / engl. Kent S.1223)


Auch hier geben wir einem Kind, das all diese Symptome hat - Ruhelosigkeit, Reizbarkeit, Unzufriedenheit, Verlangen nach Speck, Kopfschweiß, verzögerte Entwicklung - wohl fast "gewohnheitsmäßig" eher Calcarea phosphorica, und doch deckt Sanicula, wie wir sehen, all diese Rubriken ebenso gut ab!


Sowohl Sanicula als auch Tuberculinumhaben beide:
- Verlangen nach Speck
- Bedürfnis zu reisen
- Schwitzen am gesamten Körper in der Nacht.
Diese Nachtschweiße sind ja eines der Hauptsymptome für Tuberculinum und natürlich pathognomonisch für die Tuberkulose. Achten Sie darauf, wenn das Schwitzen, das bislang auf den Kopf beschränkt war, sich nun auf den ganzen Körper ausdehnt! Diese kleine Symptomveränderung kann die Indikation für ein neues Mittel sein, und Sie müssen nun Tuberculinum erwägen.


Sanicula und Natrium muriaticumhaben gemeinsam:
- Verlangen nach Salz
- Träume von Einbrechern
- Spätes Sprechenlernen
- Spätes Laufenlernen
- Abmagerung, die von oben nach unten voranschreitet
- Schmerzen im Lumbalbereich, die sich durch Liegen auf etwas Hartem bessern


Auch Calcarea carbonicahat manche Symptome mit Sanicula gemeinsam:
- Widerspenstig, dickköpfig
- Spätes Laufenlernen
- Verlangen nach Eiern
- Kopfschweiß im Schlaf, besonders dann, wenn der Schweiß vornehmlich am Hinterhaupt und Halsauftritt
- Kalter Fußschweiß; und dennoch kann auch ein Bedürfnis bestehen, die Füße unter der Bettdecke hervor zu strecken, weil sie mitunter zu heiß werden.
Tatsächlich besteht eben nicht nur zwischen Sanicula und Siliceaeine enge Verwandtschaft, sondern auch zwischen Saniculaund Calcarea carbonica.
Sie sehen ein Kind mit den oben genannten Symptomen und sind der Meinung, mit Calcarea carbonica das Mittel gefunden zu haben. Sie geben diese Arznei, aber die Wirkung bleibt aus, und Sie können das nicht begreifen, weil der Fall das klassische Bild von Calcarea carbonicavermittelte. Aber vielleicht braucht dieses Kind, das eigentlich nicht übergewichtig ist, sondern eher etwas dünn, ja Sanicula!
SaniculaKinder fürchten sich - im Gegensatz zu Calcarea carbonica-Kindern - nicht im Dunkeln und haben keine Angst, daß etwas oder jemand hinter ihnen ist.
Sanicula-Kinder sind auch keine besonders zärtlichen, liebevollen, gütigen Kinder. Ich habe erfahren, daß Sanicula-Kinder zu ziemlich heftigen Wutausbrüchen neigen können - schlimmer, als es in den Büchern zu lesen ist!


Ich erinnere mich an den Fall eines Kindes, dem ich Sanicula gab. Dieses Kind hatte bereits viele andere Mittel ohne nennenswerten Erfolg erhalten, unter anderem auch Hyoscyamus. Der Junge war äußerst reizbar, stieß und boxte die anderen Kinder in der Schule. Er war extrem eifersüchtig auf seinen Bruder, und die beiden lagen ständig im Streit miteinander. Das Kind war nicht mein Patient, sondern der eines Kollegen an der Hahnemann Medical Clinic, der aber gerade keine Sprechstunde hatte. Die Eltern des Kindes suchten also stattdessen mich auf und sagten: "Sehen Sie hier, der Junge hat hier am Fuß einen kleinen Hautausschlag...", und sie zählten noch eine Reihe weiterer Symptome auf. Ich entgegnete: "Wollen Sie wirklich, daß Ihr Junge jetzt eine Arznei erhält? Denn ich kenne ihn ja nicht, und er hat auch schon eine ganze Reihe anderer Mittel erhalten..." Die Eltern entkräfteten mein Argument: "Die anderen Mittel haben eigentlich nichts bewirkt. Bitte geben Sie ihm eine Arznei!" Ich schlug also mein Repertorium auf und gab schließlich Sanicula. Der Zustand des Jungen, besonders seine emotionale Situation, besserten sich dramatisch. Stattdessen brach jetzt ein gewaltiger Hautausschlag aus - mit großen Blasen, wie wir sie als typisch für Rhus toxicodendron kennen. Der Hautausschlag breitete sich über den gesamten Körper des Jungen aus. Die Eltern waren verzweifelt! Sie rieben ihn mit Kampfer, Salben und Korstison ein, sie gaben ihm Kaffee zu trinken, sie versuchten alles! Es war zum Verrücktwerden! Endlich gelang es ihnen, den Hautausschlag mit diesen Maßnahmen einzudämmen. Trotzdem hielt sich der emotionale Zustand des Kindes lange Zeit gut. Wissen Sie, manchmal erkennt man nicht sofort, wie krank ein Mensch tatsächlich ist - bis alles an die Oberfläche kommt. Etwa ein Jahr später kehrte der Hautausschlag zurück. Eine weitere Gabe Sanicula wurde verordnet, und das Mittel half wiederum. Dieses Kind war unglaublich reizbar! Aus diesem Grunde meine ich, daß Sanicula sehr starke Wutanfällehaben kann - heftigere, als in unseren Lehrbüchern beschrieben werden.

Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang zwei Beispiele geben, die Ihnen helfen sollen, sich in bestimmten heiklen Situationen, die in der Praxis auftreten können, korrekt zu verhalten. Ich erinnere mich an ein anderes Kind - es war allerdings kein Sanicula-Kind, aber das Mittel spielt für die Aussage dieses Beispiels keine Rolle. Ich kenne Mutter und Kind privat gut. Die Mutter brachte ihr Kind in die Sprechstunde, und das Kind schrie und brüllte unaufhörlich, weil es wieder aus dem Zimmer wollte. Das Kind war noch nicht groß genug, um die Türklinke herabzudrücken. Ich wartete eine Weile ab - vielleicht fünf oder zehn Minuten lang, und das Geschrei wurde immer heftiger. Schließlich begriff ich, was nottat, ging zu dem Kind hinüber, nahm es auf den Arm und hielt es ziemlich fest. Das Kind schrie und trat um sich. Ich aber lockerte meinen festen Griff nicht, und wenige Minuten später hatte sich das Kind beruhigt, saß auf meinem Schoß, spielte und schwatzte, als sei nichts gewesen. Was war geschehen? Das Kind war immer mehr außer Kontrolle geraten, seine Angst hatte das normal erträgliche Maß überschritten! Es verlangte nach Hilfe und brauchte Führung und Aufmerksamkeit, wußte aber nicht, wie es diese erbitten sollte. Alles, was wir in einem solchen Falle tun müssen, ist, dem Kind ohne jeden zornigen Unterton, aber mit aller Bestimmtheit zu sagen: "Jetzt ist's gut, nun hören wir auf damit! Schluss!" Das hilft dem Kind, sich innerlich zu entspannen.

Zu meinem zweiten Beispiel: Ich arbeitete eine Zeitlang in der Notfallstation eines psychiatrischen Krankenhauses. Am ersten Abend, den ich dort arbeitete, kam eine Patientin zu mir und fragte mich: "Herr Doktor, kann ich heute abend nach Hause gehen?" Ich kannte ihren Fall überhaupt nicht und entgegnete: "Hmm, kann sein. Vielleicht aber auch nicht...Ich muß mir das erst einmal durch den Kopf gehen lassen und mich mit einem anderen Arzt darüber besprechen." Mit dieser Antwort verließ die Patientin mein Zimmer. Ein paar Minuten später wurde ich gerufen, und da lag sie auf dem Fußboden, schrie und trat um sich - und ich erkannte: "Ich habe ihr zu viel Freiheit gelassen!" Sie hatte eigentlich gar nicht wirklich vorgehabt zu gehen, hatte mich aber trotzdem gefragt. Ich hatte ihr keine klare Antwort gegeben, sie bekam Angst, drehte durch, und schon verfiel sie in Schreikrämpfe. Ich habe diesen Fehler nie wieder begangen! Wann immer ich von den Patienten wieder gefragt wurde, ob sie heimgehen könnten oder nicht, erhielten sie entweder ein klares Ja oder eine unmissverständliche Absage zur Antwort. Das Gleiche gilt für Sie und Ihre Patienten in der Praxis. Autorität ist sehr wichtig, denn Sie müssen Kontrolle über den Verlauf der gesundheitlichen Entwicklung Ihrer Patienten besitzen und ihnen Führung anbieten. Sie wollen, daß Sie ihnen Sicherheit vermitteln, und daher müssen Sie ihnen klare Verhaltensmaßregeln geben, was sie tun dürfen und was nicht. Sie müssen klare Entscheidungen treffen für Ihre Patienten, wenn sie z.B. wissen wollen, ob es riskant ist, die Einnahme der Antibiotika abzusetzen, oder was dem Kind vielleicht geschehen könnte, wenn diese oder jene Maßnahme unterlassen würde.

Nach diesem Exkurs nun zu Symptomen, die Sanicula und Siliceagleichermaßen gemeinsam sind:
- Reizbarkeit der Kinder
- Verlangen nach Eiern
- Träume von Einbrechern
- Kopfschweiß im Schlaf
- Zurückschlüpfender Stuhl.
Der englische Sprachgebrauch nennt diese Eigentümlichkeit bashful stool - "verschämter, schüchterner Stuhl": der Stuhl tritt aus dem Anus, schlüpft dann aber wieder zurück und ist schwierig abzusetzen.


Sanicula und Magnesia carbonicahaben beide:
- Verlangen nach Fleisch
- Träume von Einbrechern
- Marasmus der Kinder
- Entblößen der zu heißen Füße
- Hinterhauptsschweiß
- Grüner Stuhl.
Insbesondere Magnesia carbonica hat Stühle, die wie der Schaum auf der Oberfläche von Froschteichenaussehen.


Sanicula und Medorrhinumhaben ebenfalls Gemeinsamkeiten:
- Verlangen nach Salz und Fett
- Heiße Füße, die entblößt werden
- Die Furcht bzw. das Gefühl, dass eine Person hinter ihm stehe


Hier noch einmal eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Symptome von Sanicula:
- Reizbare Kinder - sogar so reizbar, daß sie gegenüber ihresgleichen sehr aggressiv sein können
- Verlangen, getragen zu werden
- Angst im Dunklen
- Furcht vor Abwärtsbewegun
- Verlangen zu reisen im übertragenen Sinne:
- Ruhelosigkeit
- Verlangen nach Salz und Fett
- Ausgeprägtes Verlangen nach Speck
- Kopfschweiß im Schlaf, insbesondere Schwitzen am Hinterhaupt im Schlaf.
In der Rubrik Kopf: Kopfschweiß, Hinterkopf, während des Schlafs (KK I 201 / engl. Kent S.223) steht Saniculaogar als einziges Mittel, und das im zweiten Grad! Sanicula hat den Hinterhauptsschweiß insbesondere beim Einschlafen- worin es Silicea sehr ähnelt.
- Übelriechender Fußschweiß, der in Zusammenhang mit dem Gefühl der heißen Füße steht. Wegen der Hitze in den Füßen streckt der Patient sie unter der Bettdecke hervor.
- Sanicula erzeugt viele Hauterkrankungen
- Verschlimmerung gegen 21.00h



 
443 Seiten | Hardcover | Preis: Euro 39,- | ISBN 3-9801945-3-1